HiPP Podiumsdiskussion. „Schöner Mist! Nachhaltige Landwirtschaft – romantische Spinnerei oder machbare Realität?“

Im Juni kamen bei der HiPP Podiumsdiskussion – durchaus kontrovers – Möglichkeiten für eine ganzheitliche, nachhaltige Landwirtschaft zur Sprache. Moderne Landwirtschaft soll die Bevölkerung ernähren, intensive Flächennutzung und Massentierhaltung vermeiden und gleichzeitig für Landschaftspflege, Bodenfruchtbarkeit und Artenvielfalt sorgen. Verbraucher erwarten, dass Lebensmittel in vollem Umfang möglichst kostengünstig zu jeder Jahreszeit am Markt verfügbar sind und dabei noch regional produziert werden. Um Wege aus diesen Unvereinbarkeiten aufzuzeigen, hat HiPP sieben namhafte Experten eingeladen, darunter unter anderem Joschka Fischer, den ehemaligen Außenminister und Vizekanzler Deutschlands; Christoph Heinrich, Vertreter des WWF-Vorstands; Dr. Ursula Hudson, Vorstand von Slow Food Deutschland e. V. und als Stellvertreterin des Deutschen Bauernverbandes die Landesbäuerin Christine Singer.

Situation der Landwirtschaft heute

Anhand eines Beispiels gab Christoph Heinrich, stellvertretender geschäftsführender Vorstand und Vorstand Naturschutz des WWF, einen Einblick in die aktuelle Situation: Seit 1980 seien 94 Prozent der Rebhühner von den deutschen Grünflächen vertrieben worden. Grund dafür sei der Einsatz von Herbiziden und die Anwendung anderer künstlicher Spritzmittel auf den Feldern. Bekannt ist, dass diese Praxis nachweisbar zum Verlust der Artenvielfalt in unserer Kulturlandschaft führt. Er hält aber eine Trendwende noch für möglich: „Jedes zusätzliche Öko-Feld setzt eine positive Kettenreaktion in Gang“, so Heinrich.

Christine Singer, Erste stellvertretende Landesbäuerin des Bayerischen Bauernverbandes, widersprach der Auffassung, dass die Landwirtschaft zu einem lebensfeindlichen Raum geworden sei. „In Bayern wird nach hohen Standards produziert“, so die Vertreterin des Bauernverbandes. Ihre Perspektive war eine andere: Sie betonte, dass auch die Landwirte von den Konsumenten und Herstellern abhängig seien. So entstehe der Druck möglichst billige Erzeugnisse bei gleichzeitig hohen Qualitätsanforderungen auf den Markt zu bringen.

Die EU Agrar-Politik

In einem Punkt waren sich die Podiumsteilnehmer einig: Die EU-Agrarpolitik hat ihre Aufgabe noch nicht erfüllt. Dr. Alexander Beck (AöL) ging sogar einen Schritt weiter und erklärte deren Vorgehen als erfolglos. Er wies darauf hin, dass Landwirte die Hälfte ihres Einkommens mitunter aus Agrarsubventionen beziehen. Dabei sei vor allem die Größe des Betriebs entscheidend; je größer die landwirtschaftliche Fläche, desto höher die Subventionen. Davon profitiere die gesamte Gesellschaft allerdings nur unzureichend. „Auf dem Trecker sitzen und ein Feld abfahren ist noch keine Leistung“, so Beck, selbst Landwirt und geschäftsführender Vorstand der Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AöL).

Die Bedeutung des Konsumenten

Der Konsument verfüge über einen „täglichen Wahlschein“, fasste der Moderator Fritz Lietsch, zusammen. Die Verbraucher hätten es selbst in der Hand, welche Produkte in den Märkten angeboten werden. Die Vorsitzende von Slow Food Deutschland e.V., Dr. Ursula Hudson, hob vor allem die Notwendigkeit eines bewussteren Konsums hervor: „Das Essen ist unser Beziehungsstifter zur Welt, diese Bedeutung der Lebensmittel müssen wir wieder ernst nehmen.“ Allerdings zeigte sie sich davon überzeugt, dass der Verbraucher allein es nicht richten kann.

Dr. Eick von Ruschkowski wies in diesem Zusammenhang auf die mangelnde Transparenz bei der Produktherstellung sowie deren missverständliche Vermittlung hin. Die Bevölkerung müsse besser verstehen, wie Landwirtschaft funktioniert, so der Leiter der Alfred Toepfer Akademie für Naturschutz. 40 Prozent des EU-Haushaltes fließen in die Agrarpolitik. „Wir sollten die finanzielle Honorierung von Gegenleistungen der Landwirtschaft abhängig machen“, so der Vorschlag von Eick von Ruschkowski. Außerdem bräuchte Deutschland dringend die Rückkehr zu einem sachlichen Dialog zwischen Landwirtschaft und Naturschutz, um den Erhalt der Artenvielfalt zu einer gemeinsamen Aufgabe zu machen.

Johannes Doms, Mitglied der Geschäftsleitung bei HiPP, wies auf die zunehmenden Qualitätsverluste in der Bodenbewirtschaftung hin. Aber nicht nur das: „Auch die Privatwirtschaft muss die soziale Verpflichtung anerkennen, verantwortlich zu wirtschaften.“ In diesem Sinne ist HiPP entschlossen, den notwendigen Wandel zu einer nachhaltigen Lebensmittelwirtschaft mit zu betreiben. Seine weitergehende Forderung: In den Schulen wieder mehr eigenständiges Denken zuzulassen und die Kinder zu verantwortungsvollen, mündigen Verbrauchern zu erziehen.

Umdenken

Joschka Fischer betonte bei aller Diskussion um nachhaltigere Lebensmittel: Ein Großteil der Agrarpolitik und -wirtschaft hat sich aus historischen Gründen so entwickelt, wie sie heute ist. Nach Kriegsende herrschte Hunger, viele Menschen sind in dem Bewusstsein der Angst vor der Wiederholung eines solchen Zustands aufgewachsen. Als die konventionelle Landwirtschaft in Deutschland flächendeckend mit billigen Lebensmitteln versorgte, wurde daher über die Konsequenzen nicht weiter nachgedacht. „Der Preis von Konsum wird erst später klar“, so Fischer. Es führe kein Weg daran vorbei, dem Naturschutz eine höhere Priorität einzuräumen. Was ist letztendlich nötig, um alle Beteiligten zum Umdenken zu bewegen? „Der Tisch, an dem solche Dinge diskutiert werden, den gibt es. Er heißt deutscher Bundestag“, meinte der ehemalige Grünen-Politiker Joschka Fischer. Aber man brauche auch Geduld und einen langen Atem, um ein bestehendes System zu verändern.

Für Christoph Heinrich geht es um die weltweite Zusammenarbeit mit allen Betroffenen: „Über das Thema Verantwortlichkeit hat sich der WWF Gedanken gemacht. Ein Dialog mit sieben Milliarden Menschen ist nicht möglich.“ Er hält auf der einen Seite eine bessere Mobilisierung von Unternehmen und Handel sowie auf der anderen Seite eine zweckmäßigere Subventionierung für dringend erforderlich. Dr. Eick von Ruschkowski plädierte in diesem Zusammenhang für Subventionen, die als Gratifikation und nicht durch den Gießkanneneffekt verteilt werden. 

Dr. Ursula Hudson plädierte für die Einführung einer einheitlichen Kennzeichnung der Produktqualität. Christine Singer hingegen ist vor allem der respektvollere Umgang mit den Landwirten wichtig. Zum Nachdenken regten nicht zuletzt auch die Schlussworte von Moderator Fritz Lietsch an: Ein jeder hat es tagtäglich selbst in der Hand, zum Wandel hin zu einem stärkeren Bewusstsein für nachhaltige Landwirtschaft beizutragen.

Im Anschluss an die sehr lebhafte Diskussion, an der sich auch die Gäste rege beteiligten, konnten sich die Teilnehmer bei einem kühlen Getränk und Häppchen noch weiter austauschen. Das HiPP Buffet war von der firmeneigenen Betriebsgastronomie schmackhaft und abwechslungsreich angerichtet  - natürlich alles Bio!