Pfaffenhofener Insektenstudie von HiPP bringt neue Erkenntnisse gegenüber der Krefelder Studie zum Insektensterben

15 Millionen DNA-Sequenzen analysiert

Die in Zusammenarbeit mit der Zoologischen Staatssammlung München (ZSM), den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns (SNSB) und der Paris Lodron Universität Salzburg entstandene Pfaffenhofener Insektenstudie von HiPP bringt neue Erkenntnisse zur Insektenvielfalt auf ökologisch und konventionell bewirtschafteten Flächen. Es ist die weltweit erste Vergleichsstudie zwischen ökologischer und herkömmlicher Bewirtschaftung auf der Basis von DNA-Metabarcoding. Mit 15 Millionen untersuchten DNA-Sequenzen erweitert die Pfaffenhofener Insektenstudie „sowohl qualitativ wie auch quantitativ bisherige Erkenntnisse aus der Krefelder Studie von 2017“, wie Studienleiter Dr. Axel Hausmann von der Zoologischen Staatssammlung München betont.

Die quantitative Anzahl an Fluginsekten geht seit Jahren in ganz Europa drastisch zurück. „Innerhalb von 30 Jahren um mehr als 70 Prozent“, wie Dr. Hausmann unter Berufung auf die Krefelder Studie die Situation beschreibt. Da die kleinen Insekten und Bestäuber besonders empfindlich auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel reagieren, ist vor allem die konventionelle Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen ein großer Treiber dieser alarmierenden Entwicklung. 

„Wir dürfen diesen Schwund an Biodiversität nicht einfach hinnehmen, sondern müssen wissenschaftliche Fakten erheben, warum dies so ist und gemeinsam auf dieser Erkenntnisgrundlage Lösungsansätze erarbeiten, wie wir dem entgegenwirken können“, erläutert Stefan Hipp seine persönliche Motivation und den Grund, weshalb das Unternehmen HiPP die Initiative zu dieser neuen Insektenstudie ergriffen habe.

„Denn wir Menschen sind von der Bestäuberleistung zahlreicher Insektenarten abhängig. Diese Abhängigkeit zeigt sich vor allem in der Nahrungsmittelproduktion“. Deshalb untersucht die Studie seit 2018 den Einfluss von ökologischem und konventionellem Landbau auf die Biodiversität. „Wir haben dazu nicht nur unseren Musterhof in Pfaffenhofen zur Verfügung gestellt, sondern auch unseren Schmetterlingsforscher Thomas Greifenstein mit den bayerischen und österreichischen Studienpartnern zusammengebracht.“  

Im Rahmen der Pfaffenhofener Insektenstudie wurden Fliegen, Hautflügler, Käfer, Schmetterlinge und zahlreiche weitere Insekten gesammelt, identifiziert und präpariert. Dr. Hausmann begrüßt diese Initiative und betont, dass „das Aufsammeln der Insekten nicht zum Selbstzweck erfolgt“, sondern für eine wissenschaftliche Evaluation elementar wichtig sei. Schließlich würden auf diese Weise vom Aussterben bedrohte Insektenarten dokumentiert, Schutzmaßnahmen definiert und realisiert, wodurch die Arten der Nachwelt erhalten blieben. 

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten mittels DNA-Metabarcoding rund 15 Millionen DNA-Sequenzen untersuchen und hieraus wiederum mehr als 500.000 genetische Cluster, ausgewertet aus rund drei Millionen Datenfeldern, feststellen. „Diese Studie erweitert und ergänzt die wissenschaftlichen Erkenntnisse der „Krefelder Studie zum Insektenrückgang“ aus dem Jahr 2017 durch Anwendung modernerer Methoden und die dadurch mögliche qualitative Analyse“, sagt Prof. Dr. Jan Habel von der Paris Lodron Universität Salzburg. Schließlich sei es den Forscherinnen und Forschern damit weltweit erstmals gelungen, die Auswirkung unterschiedlicher landwirtschaftlicher Nutzungen quantitativ und qualitativ mit molekularen Methoden umfassend zu untersuchen. Mit bemerkenswerten Ergebnissen: Auf dem von Stefan Hipp genannten Musterbetrieb für biologische Vielfalt, dem Ehrensberger Hof in der Nähe von Pfaffenhofen an der Ilm, konnte bei der Erfassung im Jahr 2018 im Vergleich zum konventionellen Versuchshof 260 Prozent mehr an Biomasse festgestellt werden. 

Insgesamt 21 Prozent mehr Insektenarten sowie 60 Prozent mehr Schmetterlingsarten fanden auf den ökologisch bewirtschafteten Flächen Lebensraum - darüber hinaus die doppelte Anzahl laut Roter Liste gefährdeter Arten. Insgesamt konnten dort von den zirka 25.000 in Bayern bislang erfassten Insektenarten rund 7.500 nachgewiesen werden. Um die Untersuchungen durchzuführen, setzten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie der Schmetterlingsforscher Thomas Greifenstein auf je zwei Malaisefallen auf dem Bio-Hof und auf dem konventionellen Hof. Seit 2018 kommen insgesamt 20 Fallen zum Einsatz. Unterstützend hierzu wurden Lampen mit hohem UV-Anteil, sogenannte Lichtfallen, zum Fang von Nachtschmetterlingen eingesetzt. 

„Diese Ergebnisse zeigen ganz deutlich, dass die Bewirtschaftungsform landwirtschaftlicher Flächen von enorm hoher Relevanz für die Insektenvielfalt und das gesamte Ökosystem ist“, so Dr. Hausmann.

Da beispielsweise alleine in Bayern rund 45 Prozent der Gesamtfläche landwirtschaftliche Gebiete (konventionell und biologisch bewirtschaftet) und rund ein Drittel davon wiederum sogenanntes Dauergrünland sind, sei ein Umdenken im Bereich der konventionellen Landwirtschaft enorm wichtig und für die positiven Auswirkungen auf die Artenvielfalt entscheidend. „Hierfür benötigen die Landwirte keine Jahrzehnte. Bereits nach zwölf Monaten Verzicht auf mineralische Stickstoffdüngung beginnen sich die Böden spürbar zu erholen und zahlreiche Insekten siedeln sich wieder auf Wiesen oder Äckern an“, macht der Studienleiter Mut. 

Die wichtigsten Ergebnisse der Pfaffenhofener Insektenstudie:

a) Die Pfaffenhofener Insektenstudie von HiPP ist die weltweit erste Studie, die über einen Zeitraum von sechs Jahren mittels DNA-Metabarcoding wissenschaftliche Erkenntnisse über die Insektenvielfalt sowohl qualitativ wie auch quantitativ auf ökologischen wie konventionellen Flächen vorweisen kann. Durch die DNA-Metabarcoding-Methode werden zahlreiche „Dark-Taxa“ (= derzeit unbestimmbare und potentiell unbeschriebene Arten) sichtbar. 

b) Die Pfaffenhofener Studie stellt damit eine Erweiterung und Ergänzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der „Krefelder Studie zum Insektenrückgang“ von 2017 dar. 

c) Bislang wurden mehr als 20 Millionen DNA-Sequenzen untersucht. 

d) Insgesamt konnten im Rahmen der Studie von den zirka 25.000 in Bayern bislang erfassten Insektenarten rund 7.500 nachgewiesen werden. 

e) Auf den ökologisch bewirtschafteten Flächen konnte im direkten Vergleich zu den konventionell bewirtschafteten Flächen bis zu 260 % mehr Biomasse festgestellt werden.

f) In Zahlen ausgedrückt: auf den ökologisch bewirtschafteten Flächen wurden 21 % mehr Insektenarten sowie 60 % mehr Schmetterlingsarten festgestellt.

g) Ebenso siedelten auf den ökologisch bewirtschafteten Flächen etwa die doppelte Anzahl an gefährdeter Insektenarten (laut Roter Liste). 

Über das DNA-Metabarcoding-Verfahren:

Das Metabarcoding-Verfahren läuft wie das allgemeine DNA-Barcoding nacheinander über die Stufen DNA-Extraktion, PCR-Amplifikation, Sequenzierung und Datenanalyse ab. Mithilfe dieses Verfahrens kann man viele verschiedene Organismen aus umfangreichen Umwelt- oder Sammelproben gleichzeitig einer molekularen Analyse und damit einer Bestimmung (meist bis zur Art) zuführen. ‚Hierzu wird ein universelles Genfragment verwendet. 

Über die Studienteilnehmer:

a) Dr. Axel Hausmann:

Dr. Axel Hausmann (63 Jahre), Hauptkonservator, seit 1989 an der Zoologischen Staatssammlung München (ZSM) Leiter des Bereichs Entomologie (Insektenkunde). Die Zoologische Staatssammlung beherbergt die weltgrößte Schmetterlingssammlung, die Grundlage für zahlreiche DNA Barcoding Projekte. Dr. Hausmann initiierte mit dem Projekt „Barcoding Fauna Bavarica“ im Jahr 2009 die europaweit erste systematische Erstellung einer umfassenden DNA Bibliothek für alle Tierarten.

b) Prof. Dr. Jan Habel:

Prof. Dr. Jan Habel (46 Jahre), seit (2019) an der Paris Lodron Universität Salzburg, beschäftigt sich bereits seit seiner Kindheit und Jugend mit Schmetterlingen und anderen Tierarten, und forscht und lehrt derzeit zu Themen der Evolutionsbiologie, Biogeographie und Naturschutzbiologie. In seiner Forschung verwendet er historische Datensätze um Trends von Insekten zu rekonstruieren und um den aktuellen Zustand der Biodiversität zu verstehen und zu evaluieren. Eine Verschneidung von Wissenschaft, Wissenschaft und Gesellschaft ist ihm stets sehr wichtig.

c) Thomas Greifenstein: 

Thomas Greifenstein (60 Jahre), seit 1981 beim bayerischen Babynahrungshersteller HiPP als Produktentwickler beschäftigt, hat sich schon seit Jahrzehnten der Schmetterlingsforschung (Entomologie) verschrieben: „Mich fasziniert die Lebensweise der Insekten und Schmetterlinge sehr. Vor allem ihre elementare Bedeutung für das gesamte Ökosystem lässt mich immer wieder staunen“, sagt Greifenstein. Das große Artensterben der vergangenen Jahrzehnte sowie die Tatsache, dass Tausende weitere Arten kurz vor dem Aussterben bedroht sind, bestärkt ihn in seiner Forschung: „Schließlich sollen auch unsere Nachfahren ein intaktes und gut funktionierendes Ökosystem vorfinden. Wenn wir so weitermachen wie bisher, laufen wir sehenden Auges in eine Katastrophe.“